Die «anderen» Bienen
Wertvoll für die Natur: Wildbienen
Wer «Biene» hört, denkt als Erstes an die Honigbiene. Quasi in ihrem Schatten erfüllen ihre wild lebenden Verwandten aber gleich wichtige Aufgaben in der Natur. Allerdings ist rund die Hälfte der hiesigen Arten bedroht. Ein Besuch im Schaugarten des Wildbienen-Netzwerks «wildBee» in Leutwil AG.
Einst summte und brummte unsere Welt. Wer sich an unbekümmerte Kindertage in der Natur zurückerinnert, der sieht – zumindest, wer schon etwas älter ist – bunt blühende Wiesen vor sich, in denen es nur so kribbelte und krabbelte, surrte und zirpte. Käfer, Wespen, Schmetterlinge, Fliegen, Ameisen, Heuschrecken, Zikaden, Bienen zuhauf waren unterwegs – tausendfach und in allen Grössen, Farben und Formen. Seit Längerem wissen wir jedoch, dass die einstige Vielfalt kontinuierlich zurückgeht. Immer mehr Insektenarten sterben aus oder sind teilweise massiv bedroht. Aber auch das Total der Individuen – die sogenannte Biomasse – schwindet. Ein Indikator dafür ist etwa die Tatsache, dass nach einer sommerlichen Autofahrt kaum noch Insekten an der Windschutzscheibe kleben, während in früheren Jahrzehnten die Frontscheibe schon nach kurzer Zeit voll davon war. Diese mitunter als pseudowissenschaftlich kritisierte Argumentation wird notabene durch die Forschung und durch Studien aus aller Welt gestützt.
Wie ein Wesen aus einer anderen Welt: spektakuläre Makroaufnahme einer Mai-Langhornbiene (Eucera nigrescens). Thomas Marent
Stetiger Rückgang der Wildbienenarten
Die Gründe für den teils drastischen Rückgang sind mannigfaltig und multifaktoriell. Sie reichen von der fortschreitenden Zersiedelung der Landschaft, dem Verschwinden von landschaftlichen Strukturelementen (Feldgehölzen, Hecken usw.), der Entwässerung von Mooren, der Überdüngung des Bodens oder dem Einsatz von Pestiziden über den Verbrauch von Kulturland für den Strassen-, Wohn-, Energie- und Industriebau bis hin zum Klimawandel, den zahlreichen nächtlichen Lichtquellen, der Zunahme naturfeindlicher Schottergärten, der monotonen Gestaltung von Gebäuden und anderen Faktoren mehr. Vom Artensterben besonders betroffen sind Wildbienen. Dies, weil sie hohe Anforderungen an ihren Lebensraum stellen. Die Bestände der über sechshundert bei uns heimischen Wildbienenarten gehen seit den Sechzigerjahren stetig zurück.
Schon 1994 kam man in der «Roten Liste der gefährdeten Bienen der Schweiz» zum Schluss, dass fünfundvierzig Prozent der bei uns lebenden Arten bedroht sind. Seither hat sich die Situation weiter verschärft. Dies zeigen Erhebungen im Rahmen der neuen «Roten Liste».
Die Gemeine Trauerbiene (Melecta albifrons) ist eine sogenannte Kuckucksbiene. Das bedeutet, dass sie als Brutparasit ihre Eier in das Erdnest der Frühlings-Pelzbiene oder anderer Pelzbienen-Arten legt. Die Larven ernähren sich vom Nahrungsvorrat des Wirts. Thomas Marent
Die Senf-Blauschillersandbiene (Andrena agilissima) ist in der Schweiz eine sehr seltene Art. Thomas Marent
Über 20'000 Wildbienenarten
Was genau sind eigentlich Wildbienen? «Man hört immer wieder wilde Theorien», sagt Anja Pauli, die sich in ihrer Freizeit für das Wohl von Insekten und anderen bedrohten Tieren und Pflanzen einsetzt. Die einen glaubten, dass Wildbienen die letzten lebenden Urahnen der Honigbienen seien, andere dächten an deren verwilderte Nachkommen, fügt sie an. «Als ob es auf der Welt nur eine einzige Bienenart geben würde!»
Doch Hand aufs Herz: Die meisten von uns, die «Biene» hören, denken als Erstes doch auch an die Honigbiene, dem wohl bekanntesten Insekt überhaupt. Dabei gibt es neben der domestizierten Art (in unseren Breiten ist dies die Westliche Honigbiene, Apis mellifera) weltweit über 20'000 weitere Bienenarten. Davon kommen 617 auch in der Schweiz vor. Der Terminus «Wildbiene», der für sie verwendet wird, hat aus biologisch-systematischer Sicht keine Relevanz. Er steht vielmehr für ihre andersartige Lebensweise. Im Unterschied zu den weltweit sieben verschiedenen Honigbienenarten lebt die grosse Mehrheit der Wildbienen nämlich nicht in Staaten, sondern als Einzelgängerinnen. Einzig die Hummeln und einige Furchenbienen-Arten haben eine soziale Lebensweise.
Hummeln sind ausgezeichnete Bestäuber. Durch ihre teilweise langen Zungen und das Vibrationssammeln (Buzzing) können sie besonders gut tiefe Blüten bestäuben. Hier eine Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) an einer Natterkopfblüte. Thomas Marent
Die seltene Distelhummel (Bombus soroeensis) gehört zu den Pollenstorern – das heisst, dass sie neben dem Nektar auch Pollen in aus gedienten Brutzellen lagert. Thomas Marent
Vier bis sechs Wochen Flugzeit
Solitärbienen wie Seiden-, Masken-, Sand-, Woll-, Pelz- oder Mauerbienen verbringen derweil meist ein Jahr in ihrem Nest und fliegen nur vier bis sechs Wochen. In dieser Zeit bauen die Weibchen ein neues Nest, in dem sie bis zu dreissig Brutzellen anlegen. Darin häufen sie zudem einen Larvenproviant aus einer Mischung aus gesammelten Pollen und Nektar an. Auf diesen Futtervorrat wird schliesslich ein Ei gelegt und die jeweilige Zelle verschlossen. Der Proviant genügt für das gesamte Wachstum der Larve, die mit ihrer Mutter normalerweise nicht in Kontakt kommt.
Die Blauschwarze Holzbiene (Xylocopa violacea) ist die grösste Wildbiene Mitteleuropas. Im Bild ein Männchen, das man an den roten Flecken an den Fühlern und dem «Silberrücken» erkennt. Thomas Marent
Im Wildbienengarten in Leutwil AG wird mit der Sense gemäht. Im Bild Anja Pauli vom «wildBee»-Kernteam. Thomas Marent
Blick für kleine Dinge
An diesem schönen Nachmittag sind wir zu Besuch im Wildbienen-Schaugarten des Vereins «wildBee» im aargauischen Leutwil. Anja Pauli führt uns herum und öffnet uns die Augen für die kleinen Dinge. «Schauen Sie», macht sie uns auf ein unscheinbares Wesen aufmerksam. Blitzschnell verschwindet dieses in einem winzigen Loch im Boden. «Eine Sandbiene», erklärt uns die Naturfreundin begeistert. Auf einem Grasstreifen mit Wildblumen dahinter zeigt sie uns einen ebenso unauffälligen Winzling, der grad aus einer Glockenblume herausgekrochen kommt. «Eine Kleine Glockenblumen-Scherenbiene», erläutert sie und ergänzt, dass über ein Drittel der Wildbienenarten in der Schweiz bei ihrer Nektar- und Pollensuche eng an bestimmte Pflanzenarten oder -gattungen gebunden seien: an Glockenblumen, Hornklee, Natterköpfe, Rainfarne, Ehrenpreise usw. «Sie können nur existieren, wo ihnen solche Blüten reichlich zur Verfügung stehen.»
Text: Corinne Schlatter
Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #2 Mai/Juni 2020. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.
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