Neue Herausforderungen
Ein Sommer auf der Alp Bondo GR
Otmaro Beti verbringt den Sommer auf der Alp Bondo. Die vielen Nutzungsansprüche und den Klimawandel erlebt er als grosse Herausforderung.
Pferde als Weidehelfer
Otmaro Beti ist kein ausgesprochener Pferdenarr. Trotzdem sind die Berberpferde aus Al Canton seit mehreren Jahren auf seinen Sommerweiden im Berninagebiet willkommen. Nicht nur weil ihm das Abtrennen einzelner Weiden, das Zäunen und die Herdenkontrollen einen Zusatzverdienst bringen. Vielmehr weil ein regelmässiger Weidewechsel eine wichtige Pflegemassnahme für Alpen bedeutet. «Pferde schneiden das Gras mit den Zähnen im Ober- und im Unterkiefer beim Fressen tiefer als Kühe. Diese schieben es mit der Zunge nur bis zu den vorderen Schneidezähnen», erklärt der Landwirt. Regelmässiger Weidewechsel bzw. eine Nachbeweidung einer Kuhweide durch Pferde oder Schafe und Ziegen fördere daher das Wachstum der Niedergräser, fügt der Puschlaver aus San Carlo GR an. Zudem trampelten Pferde Niedersträucher wie Heidelbeeren, Wacholder oder Alpenrosen nieder und räumten auf. «Als Älpler müssen wir sonst mechanisch gegen die Verbuschung vorgehen. Das ist aufwendig.» Ein weiterer positiver Aspekt einer wechselnden Beweidung ist laut Beti die Regulierung von Parasiten, zumal den verschiedenen Tierarten auch unterschiedliche Schmarotzer zu schaffen machen. Als Folge der Gebietswechsel können sich jeweilige Parasiten weniger stark vermehren.
Landwirt und Älpler Otmaro Beti mit seiner Frau Johanna und den Kindern Giacomo (vorne), Ismaele (mit Velo) und Alma-Sophie. Daniel Rihs
Verhalten gegenüber Mutterkühen
Otmaro Beti und sein Mitarbeiter leben von Mitte Juni bis Mitte September in den Häusern der Alp Bondo, die auf der Engadiner Seite des Berninapasses liegt und der Gemeinde Bergell gehört. Während der Sommerferien sind auch Betis Frau Johanna und die Kinder Ismaele, 10, Giacomo, 8, und Alma-Sophie, 6, dort und helfen mit. Was nach Idylle klingt, ist ein verantwortungsvoller Knochenjob. Es müssen nicht nur die Pferde, sondern auch mehrere Hundert Kühe, Kälber und Rinder von rund zwanzig Bauern – mehrheitlich aus dem Unterland – täglich kontrolliert und deren Weidegebiete während der Saison mehrmals gewechselt und neu eingezäunt werden. Für die agileren Pferde braucht es einen doppelt starken Hag. Zudem gilt es, im touristisch stark erschlossenen Gebiet die Raumansprüche diverser Nutzer zu koordinieren. «An einigen Stellen führen Wanderwege und Bikerouten über die Weiden. Die gegenseitigen Konflikte sind programmiert», hält Beti fest und verweist auch auf Probleme durch unverantwortliches Verhalten einiger Leute gegenüber den Mutterkühen. «Wir weisen überall mit Tafeln darauf hin, dass man etwa Hunde an die Leine nehmen muss – zum Teil wird das einfach ignoriert.»
Otmaro Beti stellt eine Tafel auf, die auf Mutterkühe hinweist. Tochter Alma-Sophie assistiert. Im Hintergrund die Berninabahn. Daniel Rihs
Tourismus und Klimawandel
Die Welt verändert sich, sagt Beti noch. Auch durch den Klimawandel, durch den in trockenen Sommern wie letztem das Futter knapp werde. Als Bauer müsse man sich immer komplexeren Herausforderungen stellen, werde aber wegen der Nutzungsansprüche durch Tourismus, Freizeit, Sport, Strasse, Bahn, Autos, Stromtransport usw. immer weiter zurückgedrängt. «Ich stelle mich diesen Herausforderungen, auch wenn ich die Welt manchmal nicht mehr verstehe», sagt er und verweist etwa auf all die Busse, die täglich parallel zum Zug über den Berninapass gefahren werden, um die Bernina-Express-Touristen im italienischen Tirano oder in St. Moritz GR aufzuladen und an den Ausgangspunkt zurückzubringen. «Und dabei spricht man von nachhaltigem Tourismus.»
Text: Corinne Schlatter
Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #4 / Juli, August 2019.