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Samichlaus-Tag

Chomm Eseli, lauf schön!

Oft sind sie am Samichlaustag die Stars schlechthin: die Esel. Damit die Langohren aber verstehen, was man am 6. Dezember überhaupt von ihnen will, braucht es eine eselgerechte Kommunikation. In Grasswil BE zeigt Edith Müller-Heiniger angehenden Samichläusen und Schmutzlis den richtigen Umgang.

Samichlaus, Schmutzli und Esel im Schnee

Es wimmelt von Menschen. Gross und Klein drängt sich auf dem Platz, versucht, einen Blick zu erhaschen. Mittendrin im Gewühl steht der Samichlaus. Mitsamt Schmutzli und Esel. Dutzende strahlender Kinder strecken dem kleinen Grautier ihre Arme entgegen, wollen es streicheln, flattieren. Geduldig, ja stoisch lässt dieses die Liebkosungen über sich ergehen, nur einmal schüttelt es den Kopf, fröhlich bimmelt das Glöckchen, das um seinen Hals hängt.

Edith Müller und Esel Lilo und Jamayca

Edith Müller erklärt Thomy Widmer (vorne) und Heinz Frutig, wie Lilo und Jamayca richtig geführt werden.

Dem Menschen vertrauen

6. Dezember irgendwo in unserem Land. Die Szene ist auswechselbar, wiederholt sich landauf, landab, Jahr für Jahr. Nicht überall zwar, wo der Samichlaus oder der Sankt Nikolaus auftritt, ist sein Esel dabei. Dieser sei krank und zu Hause im Stall, lautet die gängigste Ausrede. Doch dort, wo das Langohr mitkommt, berührt es Kinder und auch Erwachsene emotional. Und ist nicht selten der eigentliche Star des Tages. Für den Esel ist der Einsatz freilich nicht alltäglich. Die vielen Menschen sind ungewohnt, ebenso der grosse Sack auf dem Rücken. Und die Kommandos, die ihm Schmutzli und Samichlaus erteilen, versteht er nicht immer, sie verwirren ihn mitunter ganz schön.

«Manchmal sieht man wüste Bilder», sagt dazu die Esel-Expertin Edith Müller-Heiniger. «Tiere, die ihre Hufe in den Boden stemmen, partout nicht mehr weitergehen wollen und ihren Ruf, störrisch zu sein, zementieren. Und Schmutzlis, die an den Köpfen der Esel zerren, oder Samichläuse, die sie von hinten schieben», fügt die Bernerin an und verweist auf Unkenntnis und Missverständnisse, die in den meisten Fällen zu solch unschönen Szenen führten. «Esel und Schmutzli oder Esel und Samichlaus sollten sich vor dem wichtigen Tag aneinander gewöhnen», ist Edith Müller überzeugt. «Esel hören gut auf eine Stimme, wenn sie diese kennen. Und sie vertrauen dann dem Menschen, selbst wenn dieser einen langen Bart und ein wallendes Kostüm trägt.»

Kusi Fryand und Esel Silas

Esel sind äusserst liebenswerte, feinfühlige Geschöpfe. Kusi Fryand zeigt Silas seine Zuneigung.

Weisser Esel Ducato

Während Silas, Lilo und Jamayca mit den Schmutzlis üben, schaut Ducato interessiert zu. Er hat keine schöne Vergangenheit und kam verängstigt und gestresst zu Edith und Wolfgang Müller. Dort lernt er, das Vertrauen zu den Menschen wieder aufzubauen.

Eselspezifische Kommunikation

Edith Müller hat es sich zur Aufgabe gemacht, Samichläuse und Schmutzlis einen eselgerechten Umgang zu vermitteln und sie in die eselspezifische Kommunikation einzuführen. Sie hofft, dadurch vielen Langohren im Land rund um den Samichlaustag einiges an Ungemach zu ersparen. Zu diesem Zweck bietet sie auf ihrem kleinen Hof in Grasswil BE im Oberaargau, den sie zusammen mit ihrem Mann Wolfgang betreibt, ein Sankt-Nikolaus-Training an. Geübt wird dort mit ihren eigenen Eseln – Lilo, Silas und Jamayca –, jedoch mit dem Ziel, dass die Kursteilnehmer das Gelernte zu Hause mit den ihnen für den Samichlaustag anvertrauten Grautieren vor dem grossen Einsatz trainieren. «Es wäre gut, drei-, viermal zu üben, damit sich der Esel an die Aufgaben gewöhnt», rät die Fachfrau. «Man sollte auch mal bei Dunkelheit durch das Dorf gehen und ungewohnte Situationen wie etwa den Gang über einen Fussgängerstreifen durchspielen.»

Samichlaus und Schmutzlis mit ihren Eseln

Sankt Nikolaus Markus von Arx übt mit seinen Gehilfen den «Ernstfall». Kusi Fryand mit Silas, Heinz Frutig mit Jamayca und Thomy Widmer mit Lilo haben gelernt, den Eseln klare, unmissverständliche Signale zu geben. 

Wesen des Esels verstehen

Es ist ein kühler Sonntag im Spätherbst, kalt bläst der Wind um die Hausecken. Draussen vor dem Hof von Edith und Wolfgang Müller-Heiniger herrscht trotzdem viel Betrieb. Zu Gast sind vier Männer von der St. Nikolausgesellschaft Wangen bei Olten SO: Markus von Arx, der Präsident sowie langjähriger Darsteller des Sankt Nikolaus, sowie dessen Gehilfen und Schmutzlis Heinz Frutig, Thomy Widmer und Kusi Fryand. Bald schon wird das Quartett mit Eseln aus der eigenen Region an diversen Sankt-Nikolaus-Umzügen und -Besuchen im Einsatz stehen. Um mit den Tieren fachgerecht um gehen zu können, holen sie sich vorgängig im Training bei Edith Müller wertvolle Tipps. Die Fachfrau zeigt ihnen zum Beispiel, wie man einen Esel richtig führt und mit ihm kommuniziert. «Es ist wichtig, eine klare Körpersprache zu haben und eindeutige Signale zu geben», streicht sie heraus. Das heisst etwa, dass man einen Esel nie gleichzeitig führen und ihm flattieren sollte. Denn wenn er gestreichelt werde, denke er, dass er stoppen müsse. «Es ist wichtig, ihn zu loben, wenn er etwas gut macht. Aber nicht schon vorher.»

Das Wesen kennen

Um einen Esel zu verstehen, muss man sein Wesen kennen. «Er ist nicht einfach ein Pferd mit langen Ohren», erklärt Edith Müller. «Er tickt anders.» In der Tat: Wenn ein Pferd, das ursprünglich aus der Steppe stammt, in Panik gerät, flüchtet es und galoppiert weg. Der Esel indes zeigt bei Gefahr erst mal kaum eine Reaktion, er wirkt gelassen, ja regelrecht katatonisch. «Er bleibt stehen, rührt sich nicht vom Fleck, bis er die Lage analysiert und für sich die beste Lösung ausgemacht hat», erläutert die engagierte Tierbesitzerin und Tierschützerin. «Diese Taktik ist für ihn als Wüstentier überlebenswichtig – er kann nicht so schnell laufen wie ein Pferd.» Das instinktive Innehalten bei Gefahr hat dem Esel, seit er im Dienst des Menschen steht, immer wieder den Ruf eingehandelt, störrisch, faul und dumm zu sein. Er musste deshalb sooft den Knüppel spüren. Die schlechte Reputation des klassischsten aller Arbeitstiere ist jedoch ungerechtfertigt, denn es wird ihm Sturheit zugeschrieben, wo es doch aller Wahrscheinlichkeit nach nur einfach Angst empfindet und vorsichtig ist. «Esel sind intelligent, liebenswürdig und gesellig. Mit Menschen, die sie kennen, sind sie sehr kooperativ und loyal», bricht Edith Müller für die Langohren eine Lanze. Bei den Einsätzen am 6. Dezember gebe es jedoch auch Grenzen. «Esel gehören nicht in ein Shopping-Center hinein, sondern davor. Zusammen mit dem Samichlaus und dem Schmutzli sind sie ein Team, das zusammenbleibt», räumt sie ein. Sie mit in einen Lift zu nehmen, sei ihrer Ansicht nach ein No-Go, denn sie könnten sich ihre Beine in der Tür einklemmen.

Text: Corinne Schlatter
Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #8 Januar, Februar 2020. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.

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Stichworte: Reportage