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Garten

Ort der Stille

Seit 43 Jahren gärtnert Schwester Ruth im Kloster Wurmsbach in Rapperswil-Jona SG mit Leib und Seele. Damit dies auch weiterhin möglich ist, brauchte der Garten ein neues und einfacheres Gewand.

Klostergarten
Als wäre die Zeit stillgestanden: Die Novizin Schwester Sara auf ihren abendlichen Runden durch den Klostergarten. Im Hintergrund die Wasch-und Arbeitsräume, in denen die Heilkräuter zu Teemischungen und Salben verarbeitet werden. 

Schwester Ruth schneidet gerade Zitronenmelisse für den Gottesdienst am nächsten Tag: Mariä Himmelfahrt, da werden die Kräuter gesegnet. Als sie den Besuch entdeckt, legt sie die Schere nieder, kommt lächelnd näher, spricht aber erst, als man sich gegenübersteht. «Guten Morgen, schön, dass Sie uns besuchen.» Der Garten ist hier mehr als bloss ein Ort der Versorgung und der Freude. Er ist auch ein Ort der Stille. Das alles wird sie später erzählen und auch, mit welchem Passwort man sich – ohne die anderen Schwestern zu stören – zurufen kann, über die Beete hinweg. Sie bittet, Platz zu nehmen am langen Tisch unter den Platanen, gleich am Rand des Gartens. Hier essen die Schwestern jeweils gemeinsam bei schönem Wetter, das heisst: ab zwanzig Grad. Auf diese Temperaturgrenze hat man sich geeinigt, und deshalb hängt an der Wand ein Thermometer. Elf Zisterzienserinnen leben zurzeit im Kloster Wurmsbach am Zürichsee, das seit 1259 existiert. Die Gemeinschaft richtet sich nach der Regel des heiligen Benedikt: Alles dreht sich um die Suche nach Gott, dem man im Gebet und der Arbeit begegnen möchte. Deshalb wird da, wo gearbeitet wird, wenn möglich geschwiegen.

 

Klostergarten

Blick über die Gartenanlage der Klausur in Richtung Konvent und Klosterkirche. Rechts die Wirtschaftsräume und Remise. In den Carrés wird kein Ge-müse mehr angepflanzt, aber es gedeihen Blumen und Kräuter.

Kein leichter Entscheid

Schwester Ruth beginnt, leise zu erzählen. Von der Geschichte dieses jahrhundertealten Gartens und von ihrem eigenen Lebensweg, der sie vor 43 Jahren hierherführte: hinter die Mauern des Klosters, in die Klausur. Schwester Ruth ist gleich auf der anderen Seite der Klostermauern auf einem Bauernhof aufgewachsen, mit acht Brüdern. Als Kind sah sie die Ordensschwestern bei der Arbeit rund ums Kloster und am Sonntag beim Gottesdienst in der Kirche. Obwohl sie unbedingt ins Kloster wollte, fiel ihr der endgültige Entscheid nicht leicht. Sie lernte Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin, zog in Erwägung, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Trotzdem entschied sie sich gegen jeden Mann, den sie kennenlernte. «Die Sehnsucht nach einem ganz auf Gott ausgerichteten Leben war stärker», erinnert sich die heute 65-Jährige. Mit 23 Jahren trat sie ins Kloster ein und wurde im Garten eingeteilt. Bei den Zisterziensern organisiert der Abt oder die Äbtissin das klösterliche Zusammenleben, aber für Schwester Ruth war die Arbeit kein Müssen, sondern ein grosses Dürfen. «Die Schwestern sagten damals, ich sei so ganz bei mir, wenn ich mit Pflanzen zu tun hätte», sagt sie. Und erst da sei ihr auch selber aufgefallen, wie zufrieden der Garten sie mache. Ihre erste Lehrmeisterin war Schwester Tekla, die längst verstorben ist. Von ihr hat sie kurz vor deren Tod noch eine alte Klosterrezeptur zur Herstellung von Beinwellsalbe gelernt, sodass die Salbe auch heute noch im Klosterladen verkauft werden kann. 

Schwester Ruth

Schwester Ruth geht ins unbewohnte Gartenhaus. Als Arbeitskleidung trägt sie im Alltag stets eine Operationsschürze und einen grossen Strohhut. 

Prioritäten gut setzen

«Früher hatten wir die verschiedenen Bereiche im Garten untereinander aufgeteilt», erzählt Schwester Ruth weiter, «eine Schwester war für die Kräuter, eine fürs Gemüse, eine für die Blumen und eine fürs Obst zuständig.» Die Klostergemeinschaft wurde aber immer kleiner, und das hatte zur Folge, dass immer mehr Aufgaben heute allein bei ihr liegen. Kräuter, Blumen und Obst auf insgesamt 7000 Quadratmetern. Seit über zehn Jahren ist das so, und Schwester Ruth sagt: «Ich bin immer noch am Üben, die Prioritäten gut zu setzen. Den richtigen Mittelweg zu finden und zu akzeptieren lernen, dass nicht mehr alles möglich ist.» So wie dem Kloster Wurmsbach geht es vielen Klostergemeinschaften. Es sind zu wenig Hände da, die die grossen Gärten bewirtschaften können. Die säen, jäten, schneiden, kompostieren, hacken, ernten können. Die Klöster gehen unterschiedlich damit um: Wo es die Finanzen erlauben, werden externe Gärtner angestellt. Oder Gemüsebeete werden zu Wiesen gemacht. Manche Klöster versuchen, mit freiwilligen Helfern den Garten so gut wie möglich in Schuss zu halten. So auch in Wurmsbach. Mittlerweile ist es ein kleines, treues Grüppchen von Helfern aus der Umgebung, die Schwester Ruth zur Hand gehen. Meist sind es Leute, die einmal während einer Klosterführung gesehen haben, dass hier Hilfe willkommen ist. Oder es sind ehemalige Gäste, die gern wiederkommen, um zu helfen. Zum Beispiel Elsbeth, die im ehemaligen Waschhaus gerade dabei ist, Pfefferminzblätter von den Stängeln zu zupfen. Sie wohnt in der Nähe und geht den Schwestern im Kloster gern zur Hand. «Ohne diese guten Seelen wäre es schwieriger», sagt Schwester Ruth und erklärt Elsbeth, wo sie sich nach der Arbeit von den frisch abgelesenen Birnen bedienen darf.

Klostergarten

Obstbäume gibt es nur noch wenige im Garten des Klosters Wurmsbach. Die Novizin Schwester Sara, die Äbtissin – Schwester Monika – sowie Schwester Ruth (von links) ernten frühmorgens kleine rote Pflaumen.

Enzo Enea gestaltete um

Um die Arbeit zu reduzieren, hat das Kloster Wurmsbach bereits einige Anpassungen im Garten gemacht. 2014 beauftragte das Kloster das Landschaftsarchitektur-Unternehmen Enea mit der Neugestaltung des Gartens. Dass die Schwestern ein Büro mit internationalem Ruf engagierten, hat einen bestimmten Grund: Enzo Enea, einer der erfolgreichsten Landschaftsarchitekten der Schweiz, hat seinen Firmensitz inklusive eines Baummuseums gleich hinter dem Kloster auf Klosterland, das er im Baurechtsvertrag bekommen hat. Enea bot den Ordensfrauen im Gegenzug eine Umgestaltung zu günstigem Tarif an: einen Garten, der weniger pflegeintensiv ist. Die heutige Form hat noch immer die Grundstruktur des Gartens mit Wegkreuz, wurde jedoch mit insgesamt acht Hochbeeten bestückt, die das Gärtnern erleichtern. Zudem fanden in den Beeten nur noch mehrjährige Pflanzen Platz. Jedes Carré steht im Zeichen einer anderen Farbe: Es gibt ein rotes, ein gelbes, ein weisses und ein blaues Viertel.

Ruhe und Geborgenheit

«Wollen wir einen Rundgang machen?», fragt Schwester Ruth. Wir starten bei den Blumenrabatten, dem Herzstück des Gartens. Im Gegensatz zu früher wird hier kein Gemüse mehr für die Küche angebaut, es gibt aber nach wie vor Blumen für den Kirchenschmuck, für das Mädcheninternat, das die Schwestern betreiben, und Kräuter für die Küche, für Tee und Salben. Viele der Pflanzen stammen aus dem alten Garten, wurden während der Bauarbeiten in die Wiese eingeschlagen und später wieder gepflanzt. Denn die Neugestaltung des Gartens wurde gleichzeitig zum Anlass genommen, den nassen Boden zu entwässern. Viele Drainagerohre und Sickerleitungen wurden verlegt, um das Wasser abzuführen. Nichts erinnert mehr an die grosse Baustelle, die hier einmal war. Heute hat alles wieder seinen Platz, es blüht und duftet, es wirkt ruhig und geborgen. Auch Obstbäume gibt es noch ein paar wenige in Wurmsbach. Ein Sturm hatte die Bäume nur wenige Jahre nach der Pflanzung im in den Achtzigerjahren angelegten Obstgarten fast allesamt entwurzelt. Da der Boden – aufgeschütteter Seegrund – für Obstbäume sowieso nicht ideal war, wurde das Ereignis als Anlass genommen, den Obstgarten wieder aufzulösen. Ein paar Spalierbäume und ein paar kleine Fruchtbäume sind geblieben. 

Text Sarah Fasolin Fotos Nadja Athanasiou 

Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #4 Juli/August 2019. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.