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Tulpenfest

Grüsse aus Morges

Vor über fünfzig Jahren blühten in Morges VD am Genfersee zum ersten Mal über hunderttausend Tulpen. Was als einmaliger Anlass geplant war, wurde zur Tradition. Eine, die jeden Frühling von Neuem die Herzen aller Blumenfans erwärmt.

Tulpen
Grosse Anzahl und grosse Wirkung. Wenn in Morges die Tulpen blühen, dann tausendfach und in allen Farben.

Die Frage liess nicht lange auf sich warten. «Hey, bist du in Holland?», schrieb eine Freundin auf den Fotogruss, den ich ihr aufs Handy geschickt hatte. Nein, nicht Holland. Morges. Um die Tulpe zu feiern und in ihrer Vielfalt zu erleben, muss man nicht quer durch Europa reisen. Eine Zugfahrt in ein kleines Städtchen in der Nähe von Lausanne reicht. Denn hier, am Tulpenfest in Morges, blühen ab Ende März bis im Mai Tulpen in grosser Zahl und allen Farben. Hier strahlt der Frühling.Vom Bahnhof sind es ein paar Schritte Richtung Genfersee. Von welcher Seite man auch kommt – man sieht sie zwischen den Bäumen leuchten, rot, orange, weiss, lila, gelb und in allen Nuancen. Über hundertzwanzigtausend Blüten, mal von der Sonne beschienen, mal im Schatten der noch blattlosen Bäume. Der Parc de l’Indépendance, der 1898 zur Feier der Unabhängigkeit der Waadt eingeweiht wurde, ist die perfekte Kulisse für dieses bunte Fest: die mächtigen alten Bäumen, die Spazierwege, der See mit dem Mont Blanc im Hintergrund. Mit den im Park arrangierten Tulpen gibt es tausendundein Fotosujet. Und obwohl das Tulpenfest schon zum einundfünfzigsten Mal stattfindet, reisen noch immer jedes Jahr Tausende Besucher nach Morges.

Tulpen

Der Parc de l’Indépendance grenzt direkt an die Altstadt von Morges VD. Sie wird während des Tulpenfestes besonders geschmückt. Kleine Läden bieten allerhand «Tulpiges» an.

Einige kommen von weit her, andere, die in der Nähe wohnen, gleich mehrmals. Manchmal sogar von der ersten bis zur letzten Blüte. Zum Beispiel der pensionierte Gärtner Jacques Cartier. Während der sechs Wochen, in denen das Tulpenfest stattfindet, spazieren er und seine Partnerin alle zwei bis drei Tage durch den Park. Auch heute. «Nie hätte ich gedacht, dass dieses Fest so lange bestehen würde», sagt er, während er auf der Ufermauer sitzt und den Blick über die Tulpen schweifen lässt. Cartiers Familie hat wesentlich zum Entstehen des Tulpenfestes beigetragen. Sein Vater hatte in Morges ein Geschäft für Saatgut und Gartenbedarf und war mit einem holländischen Tulpenzüchter befreundet. Dieser suchte nach einer Möglichkeit, die Tulpe in der Schweiz bekannter zu machen. Das traf sich gut, denn der Waadtländer Gartenbauverein suchte zur gleichen Zeit nach einem passenden Rahmen, um sein Fünfzigjahrjubiläum zu feiern.

Tulpen

Tulpen beim Optiker, im Unverpacktladen, im Teegeschäft, beim Confiseur: Während sechs Wochen wird die beliebte Blume überall gefeiert.

Enorme Begeisterung

So wurden im Herbst 1970 die ersten Tulpenzwiebeln im Park vergraben, und im darauffolgenden Frühling feierte Morges sein erstes Tulpenfest unter dem Namen «Morges à l’heure hollandaise». «Die Begeisterung bei den Besucherinnen und Besuchern war enorm», erinnert sich Jacques Cartier, der damals siebenundzwanzig Jahre alt war. Geplant als einmaliger Anlass, sei in Morges schon bald darauf der Ruf nach Fortsetzung ertönt. Ein Organisationskomitee wurde gegründet, in dem er von Beginn weg und während gut zwanzig Jahren mitwirkte. «Das Fest hat sich in all den Jahren wenig verändert», sagt Cartier, «heute gibt es mehr Begleitveranstaltungen, aber der Kern ist der Gleiche geblieben: Es geht um Tulpen in diesem historischen Park.»

Damit liegt der Fokus für einen Gärtner wie ihn noch immer genau richtig. Von der Tulpe kann er nie genug bekommen. «Sie ist meine Blume, ich liebe ihre orientalische Herkunft und dass man mit ihr so viele verschiedene Sorten züchten kann», schwärmt der Achtundsiebzigjährige, der zu Hause eine Sammlung mit diversen Tulpenaccessoires hat. Und ihn fasziniere auch die Geschichte der Tulpe, diese Leidenschaft, die sie vor Jahrhunderten ausgelöst hat.

Tulpen

Auch nach Tausenden von Sorten tüfteln die Züchter weiter. So entstand vor wenigen Jahren die neue Tulpe ‘Crown of Dynasty’, deren Blüte an ein Krönchen erinnert.

Eine Tulpe für ein Haus

Denn die Tulpe war einst Gegenstand einer regelrechten Manie. 1554 ist wohl die erste Tulpenzwiebel nach Europa gelangt. Ein Habsburger Diplomat, der im Osmanischen Reich auf die Tulpe aufmerksam geworden war, hatte dem Hof des Kaisers in Wien ein paar Zwiebeln geschickt. Nur wenige Jahre später war die Tulpe in Europa bereits derart gefragt, dass einige Leute bereit waren, ihr ganzes Vermögen zu investieren, nur um ein paar seltene Exemplare zu besitzen. Am teuersten war die ‘Semper Augustus’, die den damaligen Wert eines Hauses mit Garten hatte. Im Frühling 1637 brach der Preis jäh ein – eine der ersten Spekulationsblasen in Europa war geplatzt. Heute ist die Tulpe eine viel vermehrte Pflanze, die für jeden erschwinglich ist.

Tulpen

Nie hätte Jacques Cartier gedacht, dass das Tulpenfest so beliebt würde. Sein Vater war einer der Mitinitianten, er selber hat auch viele Jahre mitgewirkt.

Text Sarah Fasolin  Fotos Stöh Grünig

Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #2 Frühlingserwachen 2022.

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Stichworte: Tulpen