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Hang in Flammen

Im April, wenn Tausende Azaleen- und Rhododendronbüsche ihre Blüten öffnen, verwandelt sich der Parco San Grato hoch über dem Luganersee in ein atemberaubendes Landschaftsgemälde. Aber nur für kurze Zeit.

San Grato
Was für eine Aussicht! Von den üppig blühenden Azaleen über den markanten San Salvatore bis zu den weissen Gipfeln des Tessins.

Da am Wegrand steht sie, parat für den grossen Moment. Ihre Blüten sind prall, vereinzelt geöffnet, gelb und stark duftend. Wenn diese Mollis-Azalee blüht, notiert sich Gärtner Alessandro Bressanelli das Datum. Und er weiss: In zehn Tagen ist es so weit. Dann wird der Hang in Flammen stehen. Rot, pink, orange, gelb, weiss – Abertausende Blüten an unzähligen Sträuchern, versammelt als bunte Wolken an einem Ort nahe am Himmel. Es ist Blütezeit im Parco botanico di San Grato, der auf dem Bergsattel unterhalb des Monte San Salvatore liegt. Von hier sieht man über die Tessiner Berge, zu den Dörfern an den Hängen und auf den Luganersee im Tal. Wenn die Sonne scheint, die bunten Hänge beleuchtet und den Tannen ihren würzigen Duft entlockt, stehen die Besucherinnen und Besucher still, atmen ein und sagen nicht selten zu ihm: «Hier oben sind Sie ja immer in den Ferien.»

 

San Grato

Seit elf Jahren kümmert sich Gärtner Alessandro Bressanelli um den Park. Zwanzig Hektaren Garten und Wald – ganz schön viel für eine Person. Gut, helfen ab und zu Freiwillige und Forstwarte mit.

Dieser Weg war der richtige

Alessandro Bressanelli lacht. Er liebt diesen Ort, an dem er seit elf Jahren arbeitet. Wie niemand sonst weiss er auch um die Zuwendung, die der Park braucht. Mit zwanzig Hektaren Grösse, sechs davon als botanischer Teil mit den vielen Rhododendren und Azaleen, ist die To-do-Liste immer lang – auch wenn er ab und zu Unterstützung von Freiwilligen und Forstwarten bekommt.

Das Gelände ist nicht nur gross, sondern auch steil, und im Sommer wird es hier brütend heiss. Und doch, wenn er am Morgen früh hier oben ankommt, wenn das Rauschen des Morgenverkehrs vom Seedamm in Melide nur dumpf heraufdringt, weiss er: Es war richtig, eine Lehre als Gärtner zu machen. Es war richtig, die Stelle in einem Privatgarten aufzugeben und hier oben auf rund 700 Metern über Meer die Pflege des Parco San Grato zu übernehmen. Trotz viel Arbeit ist es ein Ort voller Schönheit, ein Ort mit langer Geschichte.

Wie dieser Hügel zu seinem Namen kam, ist unklar, doch ist er bereits auf einer Karte aus dem achtzehnten Jahrhundert so verzeichnet. San Grato war ein Heiliger aus Aosta in Italien, der im fünften Jahrhundert lebte und als Schutzpatron gegen Blitz und Unwetter verehrt wird. Ob die Namensgeber den exponierten Hang und die Krete so zu beschützen versuchten? Als Martin Winterhalter, Direktor der Riri-Reissverschluss-Fabrik in Mendrisio, das Gelände kaufte und in den Vierzigerjahren grosse Teile des Waldes roden liess, übernahm er den Namen für seine Sommerresidenz. Winterhalter baute sich ein Haus auf einer Hügelkuppe, einen Pferdestall etwas weiter unten und mitten auf dem Gelände eine Kappelle, die er dem Heiligen San Grato widmete.

Die vielen Azaleen und Rhododendren sind aber nicht sein Verdienst – sie gehen auf Luigi Giussani zurück, der Martin Winterhalter den Parco San Grato 1957 abkaufte. Der wohlhabende Giussani, Gründer und Inhaber des Stahlwerks Monteforno, des damals grössten Industriebetriebs des Tessins, war ein Naturliebhaber. Er bestückte die Pferdeweiden seines Vorgängers mit Rhododendren und Azaleen aus aller Welt. Dazwischen setzte er Nadelgehölze – als ruhende Pole in den wilden Farben. Giussani, so heisst es, habe wegen seiner Sehbehinderung starke Farben und Kontraste gesucht.

San Grato

Auf über fünf Kilometern Wegnetz kann durch den Park spaziert werden. Bunt leuchtende Blütenwolken und majestätische Koniferen säumen den Weg.

Farbspektakel ohne Vergleich

Eine Rolle dürfte auch der Boden gespielt haben, der im Parco San Grato wie fast überall im Tessin sauer ist, da er quarzhaltige Porphyre enthält und somit einen pH-Wert von fünf aufweist. Ein idealer Standort für Rhododendren, die kalkhaltige Böden meiden und natürlicherweise in diversen Lebensräumen, von lichten Wäldern bis alpinen Zonen, vorkommen. Über tausend Arten umfasst die Gattung, zu denen auch die Azaleen gehören. Bei den Azaleen handelt es sich um verschiedene Arten von kleinen und mittelgrossen Sträuchern, die so viele Blüten bilden, dass die feinen grünen Blätter nicht mehr zu sehen sind. Ihr Farbspektakel ist ohne Vergleich in der Welt der blühenden Gehölze.

Kein Wunder, waren Rhododendren bis in die Achtzigerjahre beliebte Gartengehölze. In den meisten Regionen der Schweiz ist der Boden jedoch kalkhaltig und ungeeignet für sie. Wer sie dennoch im Garten wünschte, musste ein Moorbeet mit tiefem pH-Wert anlegen und verwendete dafür Torf. Nachdem ab 1987 in der Schweiz kein Torf mehr abgebaut werden durfte, ging auch die Nachfrage nach Rhododendren und Azaleen massiv zurück. Nördlich der Alpen findet man sie noch vereinzelt in Privatgärten oder grösseren Beständen in ehemaligen Moorgebieten wie dem Seleger Moor, deren Boden von Natur aus sauer ist.

In den Sechzigerjahren waren Rhododendren aber noch äusserst beliebte Gehölze und passten auch zu Giussanis Parkidee. Ein deutscher Botaniker half ihm, die Rhododendren, aber auch die Koniferen von überall auf der Welt zu beschaffen. In der Anfangszeit waren die unterschiedlichen Arten und Sorten beschriftet, und der Parco San Grato wurde als botanischer Garten angelegt, der «auch strengen Massstäben standhält», wie die «Neue Zürcher Zeitung» 1969 schrieb. Schon zu Lebzeiten machte Giussani sein Privatgrundstück öffentlich und gratis zugänglich. Aus dem alten Pferdestall liess er ein Restaurant bauen, in dem auch er sich gerne verpflegte, bevor er sich in sein Haus auf der Bergkuppe zurückzog und Bridge spielte. Mit der Zeit gingen die Namenstäfelchen bei den vielen Rhododendren verloren, beschriftet sind heute vor allem noch die grossen Koniferen. Für die Pflege der Rhododendren hat das aber keine Bedeutung. Alessandro Bressanelli behandelt sie alle gleich: Nach der Blüte schneidet er sie zurück. Dabei achtet er darauf, dass er die Sträucher unterschiedlich hoch staffelt. Ist einmal einer von Schädlingen befallen, lässt er die Natur walten. «Pflanzen können sich auch selber wehren», sagt er, «ich spritze nie und warte, bis sich das Gleichgewicht von selber wieder einstellt.» Bis jetzt habe sich diese Philosophie bewährt.

 

Text Sarah Fasolin Fotos Claudio Bader und Andrea Badrutt

Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #2/2024. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.

 

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