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Besuch bei der Pflanzenfreundin

Vor ihr ist keine Grünsammelstelle sicher: Lilian Wernli rettet und sammelt für ihr Leben gern Pflanzen. Damit gestaltet sie in Bottmingen BL ihren verwunschenen Garten – oder das Bord der Nachbarin.

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Schon im frühen Frühling blüht es bei Lilian Wernli auf allen Etagen: Kamelien schmücken die Hauswand, später folgen Rhododendren. Am Boden leuchten Lenzrosen und Narzissen neben vielen anderen.

«Rufen Sie an, wenn Sie das Haus nicht finden», schrieb sie in ihrem letzten Mail. Das Haus von Lilian Wernli und Markus Dürst in einem Wohnquartier am Rand des Siedlungsgebiets von Bottmingen ist tatsächlich gut versteckt – inmitten eines verwunschenen Gartens. Dieser hingegen ist nicht zu übersehen. Obwohl früher Frühling ist, blüht es hier auf allen Etagen: von winzigen Leberblümchen am Boden bis zu grossen Magnolienblüten im Gehölz. Am Zaun hat die Winterduft-Heckenkirsche Lonicera purpusii ihre weissen Blüten geöffnet. An ihr vorbeigehen, ohne an den zitronig-honigartig duftenden Blüten zu riechen, ist fast unmöglich. Auf dem Weg zur Haustür kommt man an einer Vielzahl von Töpfen mit Pflanzen und einem Beet mit blühenden Kamelien vorbei und denkt: kein Zweifel, hier wohnt eine Pflanzenfreundin.

Da gibt es so viel Glück

In ihrem Berufsleben arbeitet Lilian Wernli mit ihrem Mann Markus Dürst im eigenen Architekturbüro. In ihrer Freizeit dreht sich ihre Welt aber um Pflanzen und den Garten. «Sie schafft es selten bis zur Haustür», sagt ihr Mann später im Interview, «kurz nach dem Gartentörli verschwindet sie irgendwo im Garten.» Und dann taucht sie ab in ihrem dicht bepflanzten Reich. Vergisst, dass sie eigentlich das Nachtessen kochen wollte. Denn da sind Pflanzen, die gegossen, ausgelichtet oder aufgebunden werden müssen. Da sind kleine Schützlinge, die von anderen Pflanzen bedrängt werden und befreit werden müssen. Da gibt es so viel zu staunen, zu erleben. Da gibt es so viel Glück. Sie zieht die Gartenschuhe an, eine Jacke über, und los gehts, das Glück zu suchen, das im Frühling auf diesen fünfhundert Quadratmetern zu finden ist. Der Garten setzt sich grosso modo wie folgt zusammen: aus einem ehemaligen Gemüsegarten mit Beetstruktur, einer Naturwiese mit Obstbäumen, aus verschiedenen Gehölzpartien mit abwechslungsreicher Staudenbepflanzung und mäandrierenden schmalen Wegen.

Wie wird ein Mensch zum Pflanzenfreund oder zur Pflanzenfreundin? Die Antwort ist oft in der Kindheit zu finden. Lilian Wernli wuchs am Zürichsee in Wädenswil neben der Forschungsanstalt Agroscope – der Forschungsstelle des Bundes für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft und intakte Umwelt – auf. «Ich besuchte dort oft einen der Gärtner bei der Arbeit, der mir seine exotischen Pflanzen zeigte und wie er Erdbeeren züchtete», erinnert sie sich. Auf dem Komposthaufen der Forschungsanstalt entdeckte Lilian Pflanzen, nahm sie mit nach Hause und topfte sie ein. Pflanzen retten und rätseln, um was es sich handelt – das hat sie als Kind geliebt, und das macht sie noch immer. Da ist zum Beispiel ein grosser Tuff mit Leberblümchen, den sie vor ein paar Tagen auf einer Baustelle gerettet hat. Bevor der Bagger auffuhr, stach Lilian Wernli die Pflanzenschätze aus, brachte sie nach Hause und setzte sie im Gehölzgürtel am Rand des Gartens. Auch wenn sie an Kompostieranlagen von Baumschulen oder Grüngutsammelstellen vorbeispaziert und Pflanzen sieht, die man mit etwas Fürsorge wieder aufpäppeln könnte, wird ihr Pflanzenherz weich. Da im Garten der Platz knapp ist, müssen ihre Patientinnen und Patienten manchmal in Töpfen zwischengelagert werden. Vierhundert zählt sie davon, in allen Grössen stehen sie rund um das Haus verteilt.

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Er trägt Orange und Streifen: der Frühlingskrokus Crocus vernus ‘Pickwick’.

Immer war der Garten zu klein

Wieder steigt der angenehme Duft eines Frühlingsbouquets in die Nase. Er kommt von den zierlichen orangen Blüten der Zaubernuss Hamamelis intermedia ‘Aphrodite’, die im Gehölzgürtel am Rand des Gartens steht. Ein Strauch mit wohlriechenden Blüten hat gute Chancen, bei Lilian Wernli einziehen zu dürfen. «Ich habe eine Vorliebe für duftende Sträucher», sagt sie. «Sie stehen überall im Garten.» Wo sie welches Gehölz platziert, ist alles andere als zufällig. Die Zaubernuss steht in der Achse zum Wohnzimmerfenster, sodass man sie in einer Zeit, in der man sich noch viel drinnen aufhält, trotzdem bewundern kann. Und der Gehölzgürtel entlang des Zauns ist so angelegt, dass zwischen den Sträuchern immer wieder Lücken den Blick in den Garten freigeben. Den Garten selbst hat Wernli mit Säuleneiben oder kurzen Eibenhecken in Räume aufgeteilt. Spaziert man zum Beispiel zwischen den Staudenflächen hinter dem Haus hindurch, wird die Sicht irgendwann von einer Eibenwand verdeckt. Hier wird die Handschrift der Innenarchitektin spürbar. Sie teilt das Volumen, gestaltet den Raum, stattet aus. Man muss um die Eibenwand herumgehen, um den Raum dahinter, den ehemaligen Gemüsegarten, zu entdecken. Ehemalig? Ja, ehemalig.

Nachdem Lilian Wernli als Zehnjährige dem Gärtner beim Kreuzen von neuen Erdbeersorten zugeschaut hatte, war ihr Interesse an der Pflanzenwelt geweckt. Als Studentin versuchte sie, auf dem Balkon blaue Kartoffeln zu züchten. Der Balkon war für den Anbau aber zu klein, also fing sie an, ein kleines Stück ungenutzte Wiese bei einem Trafohäuschen zu begärtnern. Schliesslich konnte sie einen Schrebergarten pachten, in dem sie auch Platz für Pfingstrosen fand, von denen sie ebenfalls immer mehr hatte. Aber stets war ihre Sammelleidenschaft grösser als das Stück Land, das ihr zur Verfügung stand.

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Blick von der Strasse in den Garten mit den Blüten der Scheinquitte Chaenomeles speciosa ‘Apple Blossom’. Eine Staudenfreundin braucht Platz für Pflanzen – zum Hindurchspazieren reichen ein paar Trittplatten.

Stauden anstelle von Gemüse

Von den Pfingstrosen hat sie nach wie vor eine beachtliche Sammlung mit hundert verschiedenen Arten und Sorten. Sie waren der Anfang ihrer Leidenschaft für Stauden – die Pflanzen, die aus einem unterirdischen Wurzelwerk oder Speicherorgan wie Zwiebeln oder Knollen jedes Jahr neu austreiben, blühen und wieder vergehen. «Mit Stauden lassen sich im Garten Bilder schaffen, die sich im Lauf der Saison verändern», sagt sie – die Wert darauf legt, dass die Farben der Pflanzen, die zeitgleich blühen, gut miteinander harmonieren. Die Auswahl an verschiedenen Stauden in ihrem Garten ist riesig. Schon jetzt, da die Natur gerade erst erwacht, wiegen sich im Frühlingswind die Blüten von vielen unterschiedlichen Narzissen, Schneeglöckchen, Veilchen, Märzenbechern, Anemonen, Leberblümchen, Hasenglöckchen, Prärielilien, Hyazinthen, Buschwindröschen, Krokussen, Primeln, Christrosen und Zyklamen, aber auch von Gänseblümchen und Wiesenschaumkraut. Meist sind es nicht die gewöhnlichen, sondern spezielle Sorten mit wenig bekannten Blütenfarben und Musterungen. Sorten, die Lilian Wernli in Spezialitätengärtnereien findet oder von anderen Staudenfans geschenkt bekommt. Seit bald zwanzig Jahren ist sie Mitglied des Vereins Gesellschaft Schweizer Staudenfreunde, bei dem sie seit 2017 im Vorstand mitwirkt und die Vereinszeitschrift verantwortet. Bei den Staudenfreunden sind querbeet durch das Gartenvolk Landschaftsarchitektinnen, Gärtner und auch viele Laien vertreten, die an Exkursionen und Vorträgen Wissen (und oft auch Pflanzen) austauschen. Orte, an denen Lilian Wernli aufblüht – weil es noch so viel zu lernen gibt.

Text Sarah Fasolin Fotos Annette Fischer

Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #1/2024. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.

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